Zum Hundertsten Geburtstag von Geneviève de Gaulle-Anthonioz
„Oh! Ganz nahe bei dem Mann mit dem Goldenen Helm!“1
So reagierte Geneviève de Gaulle-Anthonioz, als ich ihr nach der deutschen Wiedervereinigung mitteilte, in Berlin-Brandenburg tätig zu werden.
Ein Verweis auf das Geheimnis im Menschen. Kein Wort weiter.
Sie selber war nach der Zeit in Ravensbrück nur zweimal nach Deutschland gefahren, und zwar zu den Prozessen gegen die Aufseherinnen und den Leiter des Konzentrationslagers, mit ihrer Kameradin Germaine Tillion, der Ethnographin. Was hatte die 26-jährige frisch Verheiratete bewogen, noch einmal einen Zug gen Nordosten zu besteigen? Nichts zwang sie, außer ihrer Zugehörigkeit zu den Frauen, die nicht überlebt hatten.
Nach den Prozessen in Hamburg und Rastatt veröffentlichte sie einen Artikel „Deutschland, gerichtet durch Ravensbrück.“ Aber erfahren hatte sie vor allem die Ignoranz, ja Gleichgültigkeit, nicht nur in Deutschland, sondern auch unter den Alliierten, ja, in Frankreich selber, gegenüber dem Geschehenen.
Umso engagierter handelte sie. Das Mitteilungsblatt ihrer Vereinigung der deportierten Frauen ADIR2 widmete sich der Information einer breiteren Öffentlichkeit, nicht nur über das Schicksal der Französinnen, sondern der anderen Gruppen. Es griff auch aktuelle Themen auf, die Achtung der Menschenwürde berührend.
Zu Beginn der V.Republik wurde sie zur Staatssekretärin für Kultur ernannt. Nun 37 Jahre alt, kaum im Amt, machte sie sich auf den Weg ins Obdachlosenlager Noisy-le-Grand, und stiess – zu Fuß- zu dem Priester Joseph Wresinski, der dort schon eine „Europäische Aktionsgruppe für Kultur“ ins Leben rief.
Sie verließ ihren Posten. Aber bis zu ihrem Tode verließ sie nicht die Leute von Noisy-le-Grand, die Familien vieler anderer verrufener Lager und Siedlungen in Frankreich, später auf allen Kontinenten.
Wie einen „Helm“ über dem Geheimnis der Menschen hatte sie wohl das Licht der Hoffnung erkannt, das „ strahlende Licht wie die Frühe “ sie bedecken.3
Ihren Mut zu einem radikalen Einsatz gegen die Negation des Menschen schöpfte sie sicher aus dem Glauben ihrer Kindheit, aus dem gemeinsamen Ideal in ihrer Ehe – sie hatte ihren Mann nach der Befreiung in der Schweiz kennengelernt, wo er während des Krieges in Frankreich verbotenen Künstlern das Wort ermöglicht hatte – und aus der Treue zum Kreis ihrer „Kameradinnen“ , erweitert um die Menschen der „Vierte-Welt“.
Die folgenden Seiten erzählen mehr von ihr. Mögen sie jeder und jedem helfen, die Leuchte des Gewissens nicht fallenzulassen, die unseren Mut nähren will.
Mascha Join-Lambert
Als junge Mitarbeiterin bei ATD Vierte-Welt begegnete M.Join-Lambert 1972 Geneviève. Als deutsch-französisches Ehepaar bauten ihr Mann und sie mit ATD später ein Forum für Gemeinschaft in Europa in der Uckermark / Brandenburg auf.
Dank der Unterstützung der Gedenkstätte Ravensbrück sowie der Stiftung A.Toepfer/FvS konnte sie 2015 eine Ausstellung über G. de Gaulle-Anthonioz und Germaine Tillon vorlegen, die 2015 in Ravensbrück eröffnet wurde.
Die folgende Dokumentation ergänzt diese.
- Rembrandt, « Der Mann mit dem Helm », auch « Sogenannter Bruder mit Helm », Berlin, Gemäldegalerie
- Association Nationale des Anciennes Déportées et Internées de la Résistance. Das Mitteilungsblatt wurde ohne Unterbrechung ab 1945 über 50 Jahre lang veröffentlicht.
- Wie im Alten Testament von einem Propheten formuliert. Geneviève hatte im Lager fast ihr Sehvermögen eingebüßt. Ihre Erinnerungen nannte sie „Durch die Nacht.“